(Teil 2.: Erkenntnis)
Nach einer Zeit von ca. 3 - 4 Jahren, und dem Aufstieg und Fall einer Zahl von Berater-"Legenden", kam die erste
Ernüchterungswelle.
Die Ziffern sanken und mit ihnen die Akzeptanz des Wunderwerkes Privatfunk.
Hier galt es nun zu handeln.
Ehe gehandelt wurde, "analysierte" man.
Und zwar nach der Devise, nach der schon das erste Formatradio Deutschlands (RIAS2) seine Überlebensfähigkeit zementieren
wollte.
Ich erinnere mich an ein schockierendes Gespräch, welches ich mit dem damaligen Programmchef Jörg Brüggemann in 1988 führte.
Der bat mich zu sich und erklärte mir, dass meine Art Radio zu machen, mit Ramptalks, Jingle-Einsätzen etc. und ziemlich
viel Personality einfach zu schwierig sei für den Rest seiner Mannschaft.
"Du musst verstehen, dass viele von unseren Leuten das einfach nicht so gut beherrschen wie Du. Die Technik und das
Telefon muss man ja bedienen können. Könntest Du Dich nicht ein wenig zurücknehmen, aus Rücksicht auf die Kollegen?"
wurde ich ernsthaft gefragt.
Die Geburtsstunde der "Reduce to the Max"-Philosofie!
Man erhob den kleinsten gemeinsamen Nenner zum Maßstab!
Das heisst im Klartext, dass alle programmatischen Evolutionen sich an der Ausführungsfähigkeit des Unfähigsten orientieren
sollten.
Radio musste sogar für den letzten Deppen durchführbar gemacht werden.
Diese ungesunde Grund-Idee hält sich bis zum heutigen Tage in aller gebotenen Hartnäckigkeit.
Nehme dem Protagonisten jegliche Möglichkeit, selbstständig zu denken und/oder zu handeln.
Derjenige, der am schönsten den Claim aufsagen kann und möglichst seine "Inhalte" (heutzutage vorallem Teasings)
auf dem geistigen Niveau der Anordner und ihrer kleinbürgerlichen Weltanschauung darbieten konnte, war der Grösste.
Dies ist eine Form der Reduzierung die in den Betrachtungsbereich "Menschenverachtend" kategorisiert gehört.
Passend zum Trend der Zeit kam der amerikanische Berater, sehr schick (!), ins Spiel.
Ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass in Amerika Radio eine komplett andere Entstehungstradition hatte, wurden kommentarlos
alle ausgelutschten Ami-Weisheiten der letzten 4 Jahrzehnte unkritisiert übernommen.
Schön! Nur das funktioniert(e) nicht.
Da aber mittlerweile jeder "etablierte" Privatfunk-Moderator an seinem Job hing wie die Katze an der Milchflasche,
wurde gern alles umgesetzt.
Die Führungskreise hatten neue Erkenntnisse.
Ja, die erste Generation der Radioberatung war gut und schön.
Nur jetzt (1991 - 1995) muss man das Ganze neu betrachten; neue Wege gehen!
Neue Wege?
Wer, wie ich, damals ernsthaft zugegen sein durfte wenn die Consulting-Götter aus dem Land der Care-Pakete ihren medialen
Marshallplan vorstellten, dem blieb die Spucke weg.
Mit kindlich-naiven Fragespielen, die das Wort "Verhaltens-Experiment" nicht annähernd verdienten, wurde versucht
die Mannschaft auf die neue Linie zu bringen.
Sogar Ron L. Hubbard hätte sich im Grab umgedreht.
Da wurde z.B. als Vorbild für das "neue" Radio ernsthaft kommuniziert, das man 20-Sekunden Teasing-Breaks mit
"Persönlichkeit" füllen müsse und dass das genau die Genialität und den Handlungsspielraum des Einzelnen ausmachte.
Ja, Kinder, da habt Ihr es! Wenn Ihr das erst einmal begreift, dann funktioniert es auch.
Das war der Zeitpunkt, wo ich mir zum zweiten Mal die Frage stellte, ob denn ansonsten klardenkende Menschen sich wirklich
freiwillig und engagiert einem solchen Schwachsinn unkommentiert gefallen lassen würden.
Die Antwort ist simpel, wie alles im neuen Radio: Ja! Sie taten es! Die Angst vor Job- und Prestigeverlust war grösser
als das Bedürfnis nach dem halbwegs aufrechten Gang.
Danke Deutschland!
Die Viefalt der Fragwürdigkeit des Handelns veranlasste z.B. den Autor das operative Geschäft als Unterhaltungschef eines
grossen Senders in Berlin lieber aufzugeben und einen anderen Weg zu suchen.
Auf diesem Weg traf ich dann auch Menschen, die mich, ob ihrer "verwurzelten" Tradition im Privatfunk, beeindruckt
haben.
Menschen wie den, oft gescholtenen und nicht immer geliebten, Steffen Müller. Ja, der!
Der Müller, der sich gern Streitgespräche bis an den Rand körperlicher Auseinandersetzung lieferte, der "Andersdenkende"
nicht nur tolerierte, sondern auch akzeptierte und als Bereicherung eines Unternehmens erkannte. Der Müller, der es schaffte
diese unsägliche, unperfekte, oft gescholtene Hitradio-Gruppe auf die Beine zu stellen.
Der Mann gefällt mir. Hundert Mann seiner Statur und Radio in Deutschland würde funktionieren und wir hätten Spass.
Warum?
Er hatte Instinkt, ein Merkmal welches bei den anderen 97,8% der Ausführenden in dieser Branche nicht im Ansatz vorhanden
ist.
Er hatte Fantasie und Visionen.
Er hatte Vertrauen in seine Mitarbeiter.
War erst einmal jemand mit Kompetenzen betraut, konnte dieser Mensch sich auch verwirklichen.
Er wollte, dass seine Leute nicht mehr und nicht weniger taten als sichselbst in das Wagnis Radio einzubringen.
Und er hatte Seele, ein Merkmal welches erst nach intensivem Studium der Person Müller ans Tageslicht trat.
Gut versteckt unter der Manager-Maske steckte der Pirat, der Anarchist, der Revolutionär.
Ich will übrigens keinen Job bei der MOIRA und brauche keinen Fürsprecher für nen Aufsichtsratsposten, sondern finde einfach,
dass auch positive Erkenntnisse in dieser ansonsten an Höhepunkten ziemlich ärmlichen Schrift hervorkommen.
Ja, es gibt ihn. Den kleinen Club der elitären Minderheit.
Die Gruppe der "Andersdenkenden" (hier sollte der Hauptakzent auf "denkend" liegen), diejenigen die
den Glauben an den Sinn und Zweck drahtloser Kommunikation nicht verloren haben.
Eine Mitgliedsliste liefere ich nicht, es gibt sie nicht.
Aber, lieber Herr King, hätten Sie dann bitte die Güte, uns zu erklären, was nach Ihrer Meinung der Sinn und Zweck des
Ganzen ist?
Gern, blättern Sie um!
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